Die Festung Breslau

Die Breslauer glaubten, dass ihre Stadt den Krieg überstehen werde. Denn sie war ja den gesamten Krieg über nicht bombardiert worden, bis auf einen kleinen russischen Angriff. Deswegen hatte man gehofft, dass nichts passieren würde. Doch der Angriff kam.
Als die Rote Armee am 19. Januar 1945 die schlesische Grenze überrollte, begann auch hier der Schrecken der Flucht. Den entsetzten Breslauern bot sich in ihren Straßen das Bild nicht endender Flüchtlingskolonnen. Noch Tage zuvor tönte die Propaganda, der Feind werde zurückgeschlagen, die Heimat verteidigt. So kam der Aufbruch völlig überstürzt.
Breslau, die Hauptstadt Schlesiens, wurde am 21. Januar von NS-Gauleiter Hanke offiziell zur Festung erklärt. Nur wer zur Verteidigung der Stadt taugte, durfte bleiben. Der plötzliche Räumungsbefehl traf Hunderttausende Zivilisten. Da es zu wenige Züge für den Abtransport gab, spielten sich auf den Bahnhöfen tragische Szenen ab. Hunderte Menschen wurden zu Tode getrampelt. Hanke ging der Abtransport nicht schnell genug. Er wollte Platz schaffen für die "Entscheidungsschlacht". So wurden "Frauen mit Kindern und Alte" auf seinen Befehl aus der Stadt geworfen - bei 20 Grad Kälte. Tausende kamen um beim "Todesmarsch von Breslau".

 

Die meisten Schlesier flohen über das Sudetenland Richtung Bayern oder über Görlitz Richtung Sachsen. Doch nirgendwo waren sie mehr sicher.
Am 13. Februar wurden Tausende Flüchtlinge Opfer der Bombardierung von Dresden. Zur gleichen Zeit wurde der Ring um Breslau geschlossen. Noch immer lebten trotz aller Ausweisungsappelle rund 200.000 Zivilisten in der Stadt. 45.000 Mann, zusammengewürfelt aus Volkssturm, Ersatzkompanien und Urlaubern sollten die Metropole "bis zum letzten Mann" gegen die vielfache Übermacht verteidigen. NS-Gauleiter und "Reichsverteidigungskommissar" Hanke verfolgte den aberwitzigen Plan, mitten in der Stadt einen Flugplatz anzulegen. Breslauer Frauen und Kinder leisteten zusammen mit ausländischen Zwangsarbeitern eine unvorstellbare Sklavenarbeit unter sowjetischem Beschuss. Allein 13.000 kamen dabei um.
An den Ostertagen bombardierten die Sowjets die Stadt. Ein Feuersturm fegte durch die Straßen. Doch hielt Breslau bis zum 6. Mai der Übermacht stand. Noch während der Übergabeverhandlungen floh Gauleiter Hanke mit dem Flugzeug des Festungskommandanten. Es war die einzige Maschine, die je von der berüchtigten "Startbahn" in der Innenstadt aufgestiegen ist. Der Mann, der als williger Vollstrecker Hitlers Breslau in die Selbstzerstörung trieb, beging zuletzt "Fahnenflucht".
Am 7. Mai hielten die Sieger Einzug in die Stadt. Mit ihnen auch Rechtlosigkeit, Plünderung, Vergewaltigung und Mord. Sowjetpropaganda schürte Rachegefühle der Soldaten, die von ihren Heimatorten bis nach Deutschland einer blutigen Spur gefolgt waren und vielerorts Zeugnisse fürchterlicher Verbrechen der deutschen Besatzer vorfanden. Nun schienen die Deutschen jeder Willkür ausgeliefert. Doch gab es auch Beispiele von Erbarmen und sogar Hilfe von Seiten der Sieger.
Auf den Konferenzen der "Großen Drei" in Jalta und Potsdam stimmten die Westmächte Stalins Forderung nach einer Westverschiebung Polens grundsätzlich zu. So folgte auf Flucht systematische Vertreibung. Im November 1945 gingen die ersten Transporte von den Verladerampen der Bahnhöfe in Breslau ab. Gleichzeitig trafen polnische Vertriebene in der Stadt ein - aus den von Stalin annektierten Gebieten im Osten. Sie teilen das Schicksal mit Millionen von Deutschen und zeigen auch heute am ehesten Verständnis für deren Schmerz über den Heimatverlust.
Nicht mit der Zerstörung, wohl aber mit der Vertreibung endet die Geschichte der deutschen Stadt Breslau, der Hauptstadt Schlesiens, das durch die Jahrhunderte eine Brücke in den Osten gewesen ist und schließlich Opfer des von Hitler entfesselten Vernichtungskrieges.